12 Mrz 2021 Offener Brief des Bufas e.V. an die 3sat-Redaktion WissenHoch2 zur Dokumentation „Kein Job wie jeder andere“ (Ausstrahlung am 4.3.2021)
Als Bündnis der Fachberatungsstellen für Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter (bufaS e.V.) mit insgesamt 29 Mitgliedsorganisationen (31 Beratungsstellen) bundesweit nehmen wir zur verzerrten Darstellung der Prostitution in der von Ihnen im Kontext einer Wissenschaftssendung ausgestrahlten Dokumentation vom 5.3.21 „Kein Job wie jeder andere“ Stellung.
Unsere Mitgliedsorganisationen führen jährlich über 9000 Beratungen in fast allen Bundesländern im Rahmen unterschiedlicher Angebote durch. Auch wenn Hilfesuchende kein Gesamtbild der Sexarbeit in der Bundesrepublik konstruieren, können wir als Expert*innen mit jahrelanger Beratungserfahrung die Darstellung unserer Zielgruppe in dem Beitrag nicht unkommentiert stehen lassen. Sie gehen in keiner Weise mit den Lebens- und Arbeitsrealitäten, Voraussetzungen, Entscheidungen und der beruflichen Selbstbestimmung unserer Klient*innen konform.
Die einseitige Darstellung von Frauen in der Prostitution als Opfer von Gewalt begünstigt eine gesellschaftliche moralische Spaltung. Sie stigmatisiert und entmündigt vor allem die ohnehin schon vulnerable Gruppe der Sexarbeiter*innen. Es dient allenfalls einer Viktimisierung (die armen Betroffenen, denen geholfen werden muss) und einer Abwertung der zumeist anspruchsvollen Tätigkeit der Sexarbeiter*innen (unmoralische verwerfliche Tätigkeit). Zudem wird auf mehreren Ebenen eine Auseinandersetzung mit gesamtgesellschaftlichen patriarchalen Gewaltstrukturen und Zuwanderungspolitik vermieden. Leider werden die Diskurse auf dem Rücken derer ausgetragen, die sich am Wenigsten wehren, weil sie keine Stimme haben. Sie als Journalist*innen tragen mit Ihrer Darstellung maßgeblich dazu bei und befeuern sie sogar noch. Vor allem die Vorführung zweier selbstbestimmter Sexarbeiter*innen wie Johanna Weber und Kristina Marlen als Exot*innen verzerrt das reale Bild, welches wir als Fachberatungsstellen seit über dreißig Jahren haben. Realität ist, dass die Mehrheit der Sexarbeiter*innen alltäglich ungesehen und unaufgeregt der Sexarbeit nachgeht. Über diese Menschen berichtet niemand, denn hier ist Sexarbeit mitunter ein selbstverständlicher Job.
Wir fordern Sie auf, für kommende wissenschaftliche Dokumentationen zusätzlich weitere Wissenschaftler*innen und Studien zu recherchieren, die ebenfalls Expertise zum sogenannten Nordischen Modell haben.
Zu Ihrer Information kommentieren wir drei der üblichen Thesen mit unseren Beratungserfahrungen.
Die meisten Prostituierten gehen ihrer Tätigkeit nicht freiwillig nach.
Der Begriff der Freiwilligkeit ist im Kontext von Erwerbstätigkeit zur Lebensunterhaltssicherung streitbar. Denn was genau bedeutet er? In der Prostitution wird per se unterstellt, dass täglicher Sex mit unterschiedlichen Personen nicht freiwillig sein kann. Dies ist aber eine moralische Haltung, die keiner sachlichen Argumentation stand hält. So könnten auch Schlachter*innen gefragt werden: Wie kann man freiwillig jeden Tag Tiere töten?
Eine Entscheidung für die Sexarbeit obliegt diversen Gründen. Hauptsächlich aber sind es Ökonomische, warum sich die meisten unserer Klient*innen für die Sexarbeit entscheiden. Die Voraussetzungen dafür sind so unterschiedlich wie die Menschen. Ob mit oder ohne berufliche Qualifikation in einem anerkannten Beruf, hat sich die Mehrheit der uns bekannten Sexarbeiter*innen für diese Tätigkeit entschieden. Viele von ihnen haben sich vor allem gegen andere (mitunter entwürdigende und ausbeuterische Jobs) entschieden.
Für Menschen, die nicht selbst entschieden der Prostitution nachgehen, also eine Gewalttat vorliegt, gibt es bundesweit professionelle Unterstützungsangebote u.a. auch Projekte in unseren Mitgliedsorganisationen.
Die meisten Sexarbeiter*innen sind nicht krankenversichert.
Da wir nicht wissen, wie viele Sexarbeiter*innen in der Bundesrepublik insgesamt tätig sind, können auch wir keine statistischen Aussagen über den Versicherungsstand in der Sexarbeit treffen.
Unsere Aussagen betreffen nur unterstützungssuchende Personen und die kommen zum Beispiel in Beratungsstellen, um sich zu einem Versicherungsabschluss beraten und begleiten zu lassen.
Hier allerdings schaffen andere Gesetzeslagen wie bspw. SGB 5 kaum überwindbare Hürden. Die Voraussetzungen, wie eine gültige Vorversicherung oder ein fester Wohnsitz, machen es unmöglich, insbesondere für diejenigen, die nach EU-Freizügigkeitsrecht hier selbständig in der Sexarbeit tätig sind. Eine private Versicherung kostet teilweise 700 € monatlich. Dies können sich nur wenige leisten.
Die meisten nicht angemeldeten Prostituierten könnten Opfer von Menschenhandel sein.
Seit Juli 2017 gilt in der Bundesrepublik das ProstituiertenSchutzGesetz. Auf dessen Grundlage ist es nicht mehr möglich, ohne eine Anmeldebescheinigung ein Zimmer oder eine Wohnung in Prostitutionsstätten zu mieten. Sexarbeiter*innen, insbesondere diejenigen ohne Wohnsitz, die im Rahmen der Freizügigkeit hier tätig sind, sind nach unserem Wissen viel häufiger angemeldet, als Menschen, die hier leben und der Sexarbeit nachgehen. Dies erklärt auch das Bild des angeblichen Puffs Europas. In den öffentlich sichtbaren Betriebsstätten arbeiten vorwiegend Personen aus ganz Europa, während hier ansässige Menschen auch an alternativen Orten wie Hotels oder in Privatwohnungen der Sexarbeit nachgehen. Der Personenkreis ohne Sprachbarriere, mit Ortskenntnis oder anderweitig privilegiert, ist zudem weniger auf Unterstützungsangebote angewiesen. Wir gehen davon aus, dass die meisten Sexarbeiter*innen aus ganz anderen Gründen unangemeldet ihrer Tätigkeit nachgehen. Hierzu gehört vor allem die Angst vor Stigmatisierung ihrer Tätigkeit und die mediale Viktimisierung von Sexarbeiter*innen.
Wenn Sie weitere Informationen benötigen oder Nachfragen haben, wenden Sie sich gerne an uns. Wir bieten Ihnen zudem an für zukünftige Beiträge Sie mit unserer Expertise zu unterstützen. Wenden Sie sich an uns per Mail (info@bufas.net) oder telefonisch 01727508015
Freundliche Grüße
vom bufaS e.V.
Dokumentation
https://www.3sat.de/wissen/wissenschaftsdoku/210304-prostitution-wido-104.html
Blogbeitrag von Johanna Weber über die Dokumentation
Beschwerde der Wissenschaftlerin Elfriede Steffan an die Redaktion