25 Aug 2010 Sonderbesteuerung
Keine steuerliche Sonderbehandlung für Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter!
Das Bündnis der Fachberatungsstellen für Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter (bufas) lehnt das pauschalierte Verfahren („Düsseldorfer Verfahren“) zur Besteuerung der Einkünfte von Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter ab. Es verstößt gegen Recht und Gesetz, diskriminiert Sexarbeit gegenüber anderen Erwerbstätigkeiten und verfestigt Verhältnisse, die es angeblich verändern will.
Der Bundesrechnungshof empfahl 2003 ein pauschaliertes Besteuerungsverfahren mit der Begründung, das übliche Verfahren der Einzelveranlagung zur Einkommens- und Umsatzsteuer erweise sich für Prostituierte aufgrund häufig wechselnder Arbeitsorte und Unstetigkeit als nicht angemessen. Er ergänzte, dass eine rechtliche Absicherung für dieses Verfahren erst noch geschaffen werden müsse.
Aktuell werden in mindestens fünf Bundesländern über Betreiberinnen und Betreiber von Prostitutionsbetrieben von den bei ihnen tätigen Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern unabhängig von tatsächlichen Einkünften Beträge von 7,50 € bis zu 30 € pro Arbeitstag eingezogen. In den teilnehmenden Betrieben werden die dort tätigen Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter auf Sammellisten erfasst. Je nach Bundesland oder Region müssen unterschiedliche Daten bis hin zu Familienstand eingetragen werden. Ausländerinnen haben in der Regel ihre Passnummer zu hinterlassen. An einigen Orten reicht die Angabe des Künstlernamens. Die Betreiberinnen und Betreiber haben die eingezogenen Gelder zusammen mit den Daten der bei ihnen tätigen Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern monatlich bis vierteljährlich an die zuständige Finanzbehörde abzuführen. Den teilnehmenden Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern soll auf Wunsch eine Quittung durch die Betreiber und Betreiberinnen ausgestellt werden.
Das Verfahren wird meist über die Steuerfahndung abgewickelt. Die Teilnahme ist formal freiwillig. Einige Finanzbehörden weisen die Betriebe darauf hin, dass bei Teilnahme an dem Verfahren auf häufige Steuerprüfungen verzichtet wird. Vereinzelt werden schriftliche Zusagen gegeben, dass von teilnehmenden Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern individuelle Steuererklärungen nicht eingefordert werden.
Dies Verfahren verstößt gegen gleich mehrere Artikel des Grundgesetzes:
Artikel 3 GG Gleichheitsgrundsatz
Das pauschalierte Verfahren schafft eine steuerliche Sonderbehandlung für Prostituierte, die vom Grundsatz der gleichmäßigen Festsetzung der Steuern abweicht. Hier werden willkürlich Pauschalen unabhängig von Einkommen und Umsatz festgelegt und über einen Dritten – den Vermieter oder Besitzer eines Prostitutionsbetriebes – eingezogen. Das Verfahren variiert nach Ländern, Städten und Kommunen. Nicht überall können Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter außerhalb von Betrieben daran teilnehmen.
In der Steuerpraxis ergeben sich also völlig ungleiche Verhältnisse nicht nur gegenüber anderen Selbständigen, sondern auch innerhalb der Sexarbeit.
Artikel 12 Freiheit der Berufsausübung
Das Verfahren wird zwischen Finanzbehörde und Betreiberinnen und Betreibern vereinbart. Nach allen Erfahrungen stimmen Betriebe diesem Verfahren zu, um andernfalls angedrohte häufige Kontrollen zu vermeiden. Sie werden, um diesen Vorteil nicht zu verspielen, Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern, die nicht an dem Verfahren teilnehmen wollen, keine Arbeitsplätze oder Räume zur Verfügung stellen. Deren freie Berufsausübung ist also empfindlich eingeschränkt.
Artikel 19 Rechtsweggarantie gegenüber der öffentlichen Gewalt
Das pauschalierte Verfahren sieht einen nachvollziehbaren Bescheid über die festgesetzte Steuer nicht vor. Rechtsmittel können nicht eingelegt werden.
Artikel 20 Bindung der Verwaltung an Recht und Gesetz
Eine rechtliche Grundlage für dieses Verfahren existiert nicht. Legitimiert wird es mancherorts mit der Abgabenordnung (§ 162), die eine Schätzung erlaubt, soweit die Besteuerungsgrundlagen von der Finanzbehörde nicht ermittelbar oder berechenbar sind, insbesondere bei Verletzung von Mitwirkungs- und Auskunftspflichten durch die Steuerpflichtigen. Eine solche Verletzung wird hier pauschal unterstellt und nicht im Einzelfall geprüft.
Im Übrigen sind alle Umstände zu berücksichtigen, die für eine Schätzung von Bedeutung sind. Im pauschalierten Verfahren dagegen werden die Beträge völlig willkürlich unabhängig von den tatsächlichen Verdiensten, Organisationskosten, persönlichen Verhältnissen und dem Umfang und der Art der Tätigkeit festgelegt.
Das Verfahren verletzt den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
Die Finanzbehörde hat in ihrem Handeln zu prüfen, ob für den verfolgten Zweck nicht mildere Mittel zur Verfügung stehen und ob die Nachteile für die Betroffenen nicht außer Verhältnis zu den Vorteilen stehen.
Eine solche Abwägung wurde und wird nicht vorgenommen. Mit dem pauschalierten Verfahren mögen Steuerausfälle gemindert werden, der Grundsatz der gleichmäßigen Besteuerung wird jedoch eklatant verletzt. Die Verwaltungsarbeit mag vereinfacht werden und einen geringeren Aufwand an Personal- und Sachausstattung erfordern. Für die Betroffenen jedoch verkompliziert sich das Verfahren. Insbesondere wurde nicht überprüft, ob nicht andere Verfahren wie Ansprache, Aufklärung und Unterstützung besser geeignet wären, Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter steuerlich zu erfassen.
Das Verfahren schafft Rechtsunsicherheit
Das pauschalierte Verfahren wird allein mit den Betreiberinnen und Betreibern von Prostitutionsbetrieben vereinbart. Eine Aufklärung der Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter findet in der Regel nicht statt. Ihnen dürfte verborgen bleiben, wer die BetreiberInnen ermächtigt, von ihnen Steuern einzutreiben bzw. wann und wo welches Modell praktiziert wird.
Verborgen bleibt meist auch, ob der pauschalierte Betrag die Steuerschuld abgilt oder ob es sich um eine Vorauszahlung handelt. Das Versprechen einiger örtlichen Finanzbehörden, eine Steuererklärung werde nicht eingefordert, wiegt sie in Scheinsicherheit. Zum einen darf bezweifelt werden, ob eine Finanzbehörde rechtsgültig versichern kann, dass eine Steuerschuld nicht festgesetzt wird. Zum anderen wechseln Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter häufig ihren Arbeitsplatz. Zuständig für ihre Steuererklärung ist nicht unbedingt die Finanzbehörde, die diese Versicherung abgibt.
Die Betreiberinnen und Betreiber werden nicht verpflichtet, unaufgefordert Quittungen über die Pauschale mit Nennung des einziehenden Finanzamtes auszugeben. Ohne solche Quittungen können Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter die gezahlten Beträge nicht auf ihre Steuerschuld anrechnen lassen.
Es wird nicht gesichert, dass die BetreiberInnen die Beträge korrekt an die Finanzbehörden abführen.
Versäumnisse oder Veruntreuungen von Seiten der BetreiberInnen gehen zu Lasten der Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter.
Die Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter werden verpflichtet, ihre Steuern über Dritte abzuführen, mit denen sie in einem möglicherweise asymmetrischen Kräfteverhältnis über Konditionen ihrer Tätigkeit – wie Miethöhe, Abgaben, Ausstattung der Arbeitsräume – verhandeln müssen. Immer wieder wird eine wirtschaftliche Abhängigkeit der Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter von BetreiberInnen beklagt und oft ins Persönliche gerückt. Ausgerechnet hier werden BetreiberInnen mit einer originär hoheitlichen Aufgabe – der Steuereintreibung – betraut. Dies erscheint umso absurder, als der BGH auch ihnen erheblichen Widerstand gegen Besteuerung unterstellt.
Das Verfahren diskriminiert Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter
Den Betroffenen wird ein kompliziertes Prozedere aufgezwungen, das nur dieser Berufsgruppe zugemutet wird. Der Bundesrechnungshof begründet dies mit der mangelnden Steuerehrlichkeit der Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter; weniger als ein Prozent der Prostituierten in Deutschland seien steuerlich erfasst.
Diese Behauptung wird nicht belegt. Seriöse Untersuchungen kommen zu anderen Ergebnissen.
Im Übrigen ist davon auszugehen, dass nur ein geringer Teil der Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter sich unter der Bezeichnung „Prostituierte“ zur Steuer anmeldet. Zumeist werden Berufsbezeichnungen wie „Hostess“, „Begleitdienst“, „Massage“ oder andere Dienstleistungen angegeben. Dies ist der immer noch evidenten gesellschaftlichen Ächtung geschuldet, die durch pauschale Unterstellungen mangelnder Steuerehrlichkeit noch verstärkt wird.
Das Verfahren verfestigt Verhältnisse, die es angeblich verändern will Der Bundesgerichtshof bemerkt 2003: „Die Arbeit der Finanzbehörden würde wesentlich erleichtert, wenn in der Sexarbeit Tätige sich nicht aus außersteuerlichen Erwägungen genötigt fühlten, Erwerbseinkommen und Umsätze aus der Prostitution zu verschleiern. Das Prostitutionsgesetz … hat hieran nichts geändert. Das Bundesministerium sollte sich dafür einsetzen, dass die verschiedenen Vorschriften, die die Prostitutionsausübung regeln oder berühren, aufeinander abgestimmt werden. Dies könnte auch zu einer verbesserten Besteuerung beitragen.“
Dieser Weg zu mehr Steuergerechtigkeit wurde und wird nicht eingeschlagen. Außersteuerliche Erwägungen werden weder eruiert noch entkräftet. Es mangelt an Aufklärung und Unterstützung für Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter, die ihrer Steuerpflicht nachkommen wollen. Es mangelt an Willen und Bereitschaft Sexarbeit in das öffentliche Wirtschaftsleben zu integrieren und einen Regelungsrahmen anzubieten, der Wege in die Normalisierung öffnet.
Das pauschalierte Verfahren trägt eher dazu bei, die Verhältnisse zu versteinern. Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter, die Steuerehrlichkeit praktizieren wollen, haben erheblich Hürden zu nehmen. Sie arbeiten in einem traditionell rechtsfernen Raum. Bis 2002 war die Organisation der Prostitution verboten. Betreiberinnen und Betreiber scheuten dementsprechend schriftliche Verträge.
Quittungen über Mieten oder Abgaben wurden nicht erteilt. Das ist noch heute in vielen Betrieben der Fall. Das pauschalierte Verfahren bietet ein Verbleiben in dieser Grauzone regelrecht an. Weiter bleibt es allein den Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern überlassen, gegen diese Verhältnisse ordnungsgemäße Abrechnungen und Rechnungslegungen durchzusetzen.
Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter werden so mit subtilem Druck zu ihrem Nachteil in ein Sonderverfahren gesteuert und aus dem üblichen Verfahren der Einzelveranlagung ausgegrenzt.
Berlin, August 2010
Download PDFQuellen:
1 Deutscher Bundestag, Drucksache 15/2020, S.185 ff
2 Deutscher Bundestag, Drucksache 15/2020, S.185
3 Deutscher Bundestag, Drucksache 15/2020, S.186
4 Die im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in Auftrag gegebene Untersuchung „Auswirkung des Prostitutionsgesetz“ ermittelte, dass von 305 schriftlich befragten Prostituierten 38,4 % angaben, ihr Einkommen aus der Prostitution zu versteuern. Von den hauptberuflich tätigen Prostituierten zahlten 46,2 % Steuern.
5 Deutscher Bundestag, Drucksache 15/2020, S.188