02 Jun 2021 Welthurentag – Die Diskriminierung von Sexarbeiter*innen muss aufhören!
Am 2. Juni jährt sich zum 46. Mal der internationale Gedenktag gegen die Diskriminierung von Prostituierten, der Welthurentag. Am 2. Juni 1975 besetzten mehr als 100 Sexarbeiter*innen die Kirche Saint-Nizier in Lyon/Frankreich um auf die Diskriminierung von Sexarbeiter*innen aufmerksam zu machen.
Noch heute ist Sexarbeit ein stark tabuisiertes Feld trotz liberalisierter Gesetze. Stigmatisierung und Diskriminierung von Sexarbeiter*innen ist Teil gesellschaftlicher Diskurse zu Sexarbeit. Hierzu gehört aktuell der Umgang mit Prostitution während der Coronamaßnahmen. Hier erhält Sexarbeit ein Alleinstellungsmerkmal, obwohl es sich um eine körpernahe Dienstleistung handelt. Während in vielen Bundesländern Massage-, Nagel- und Tattoostudios, aber auch Sportangebote mit Körperkontakt sukzessive wieder öffneten, stand und steht die Sexarbeit stets hinten an, sodass in manchen Bundesländern Sexarbeiter*innen seit März 2020 die Existenzgrundlage entzogen wurde. Medial wurde vielfach auf die prekäre Situation von Sexarbeiter*innen, die kaum eine Lobby haben, hingewiesen. Auch wurden in der Pandemie die Forderungen nach einem Sexkaufverbot wie in Schweden laut. Die ohnehin schon sehr polarisierend und auch moralisch geführte Diskussion über die Arbeits- und Lebenssituationen von Sexarbeiter*innen erhielt hier nochmal eine Konjunktur.
Im Bündnis der Fachberatungsstellen für Sexarbeiter*innen und Sexarbeiter (bufaS e.V.) haben sich 29 Beratungsstellen aus dem gesamten Bundesgebiet zusammengeschlossen, um u.a. auf die Vielfalt in der Sexarbeit aufmerksam zu machen. Seit Langem klärt der bufaS e.V. bereits darüber auf, dass sowohl eine Gleichstellung mit anderen Tätigkeiten, als auch mehr Rechte und der Ausbau der Beratungsstrukturen für Sexarbeiter*innen der richtige Weg sind. Nur dadurch kann größte Solidarität umgesetzt werden, die allen gerecht wird und vor allem die Diversität in der Sexarbeit anerkennt. Eine Viktimisierung (alle Sexarbeiter*innen pauschal zu Betroffenen von Gewalt und Ausbeutung machen), wie sie von Prostitutions-gegner*innen in vielfacher Weise medial gepusht wird, ist nicht im Sinne der in der Sexarbeit Tätigen. Sie fördert zudem das ohnehin schon gesellschaftliche Hurenstigma, durch welches nicht nur Sexarbeiter*innen diskriminiert werden, sondern auch Frauen, die promiskuitive Lebensweisen bevorzugen.
Die skandalisierte Darstellung von Prostitution in den Medien fördert die Stigmatisierung.
Seit einiger Zeit werden zunehmend Dokumentationen über Prostitution in den Öffentlich- Rechtlichen Medien verbreitet, die ihrem Anspruch von Objektivität auf das Thema nicht gerecht werden. So wurden in der 3-Sat-Dokumentation „Kein Job wie jeder andere“, die für ein Sexkaufverbot warb (Erstausstrahlung 4.3.2021), interviewte Protagonistinnen (Sexarbeiterinnen, eine Wissenschaftlerin und Beraterinnen aus Essen) unter Vorspiegelung falscher Tatsachen in die Doku eingeladen. Hierzu gibt es von Seiten der Betroffenen als auch von Fachverbänden Stellungnahmen. (Linkliste unten)
In dem jüngst veröffentlichten Audiofeature in der ARD-Audiothek „Licht aus im Bordell.“ (26.5.21) wurden bewusst von der Redaktion um M. Weisfeld Aussagen von zwei Beraterinnen verkürzt, damit das diffamierende Bild entsteht, öffentlich geförderte Fachberatungsstellen fördern die Prostitution. Auch hierzu sehen sich die Stellen jetzt gezwungen, eine große Öffentlichkeit zu erreichen, um sich gegen die skandalisierte und diffamierende Darstellung ihrer jahrelangen Arbeit im Hilfenetzwerk zu wehren.
Bei der preisgekrönten NDR-Doku „Love Mobil“ (2019) kam zwei Jahre nach der Veröffentlichung heraus, dass die Mehrheit der Darsteller*innen Schauspieler*innen waren, die nach einem Skript gefilmt worden. Ausgedachte Realität? Wohin führt das?
Besonders skandalisierte Medienberichte die Diskurse und Meinungen lenken in eine bestimmte Richtung. Den Medienkonsument*innen wird eine Skandalisierung als soziale Realität verkauft. Hier werden Meinungen und Moral gemacht, wobei bewusst das große Mittelfeld (hier sind die nach den Erfahrungen der Fachberatungsstellen die meisten Sexarbeiter*innen tätig) in der Recherche und der Berichterstattung schlichtweg ignoriert wird. Auf diese Weise verschärfen sich Vorurteile, Stigmatisierung und Diskriminierung von Menschen in der Sexarbeit. Das hat wiederum zur Folge, dass eine Prostituierte, die ihren Job fast unsichtbar ausübt, auch in Zukunft nicht bereit sein wird, über ihren Arbeitsalltag zu sprechen.
Der bufaS e.V. erwartet von Journalist*innen, die sich polarisierender skandalisierender Berichterstattung bedienen, um ihre oder die einer bestimmten Lobby zugehörige Moral als Realität etablieren zu wollen, dass sie nicht mehr die Gruppe der Sexarbeiter*innen für ihre Darstellungen benutzen. Professionelle Beratungsangebote sind bundesweit unterfinanziert. Die Arbeit, die die Berater*innen dort täglich leisten, verdient Wertschätzung und Anerkennung. Falschdarstellungen schädigen letztendlich vor allem die vulnerable Gruppe der Sexarbeiter*innen, für die Beratungsstellen häufig die einzigen Räume sind, in denen ihre gesellschaftlich tabuisierte Tätigkeit akzeptiert wird.
Wir hoffen, dass langfristig ein Bewusstsein dafür entsteht, dass Menschen in der Sexarbeit, in deren Namen gesprochen wird und denen vermeintlich geholfen werden soll, nicht mehr viktimisiert, stigmatisiert und entmündigt werden.
Linkliste
Zur Doku „Kein Job wie jeder andere“ (2021)
https://www.3sat.de/wissen/wissenschaftsdoku/210304-prostitution-wido-104.html
https://berufsverband-sexarbeit.de/index.php/2021/03/05/10-gruende-gegen-die-3sat-sendung-prostitution-kein-job-wie-jeder-andere/
https://www.stiftung-gssg.org/wp-content/uploads/2021/03/Stellungnahme_Elfriede-Steffan_3Sat-Beitrag.pdf
https://www.cse.ruhr/aktuell/nachricht/235-sexarbeit-ist-arbeit/
http://www.bufas.net/offener-brief-3sat-redaktionwissen/
Zum Radiofeature „Licht aus im Bordell“
https://www.swr.de/swr2/doku-und-feature/licht-aus-im-bordell-die-zukunftin-der-prostitution-in-deutschland-swr2-feature-2021-05-26-100.html#
https://www.hydra-berlin.de/home-1/detail?tx_news_pi1%5Baction%5D=detail&tx_news_pi1%5Bcontroller%5D=News&tx_news_pi1%5Bnews%5D=29&cHash=6163bae91ced368645c6ad2ba6f02f9f
Zur Doku „Love Mobil“ (2020)
https://www.ndr.de/der_ndr/unternehmen/NDR-distanziert-sich-vom-Dokumentarfilm-Lovemobil,ineigenersache106.html
https://www.youtube.com/watch?v=ckq2PeQ6VJc