Stellungnahme zur Wiedereinführung von Pflichtuntersuchungen - bufas e.V.
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Stellungnahme zur Wiedereinführung von Pflichtuntersuchungen

Stellungnahme zur Wiedereinführung von Pflichtuntersuchungen

Das Bündnis der Fachberatungsstellen für Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter (bufas e.V.) hat mit Sorge zur Kenntnis genommen, dass der Innenministerkonferenz eine Empfehlung der Polizeibehörden vorgelegt wird. Darin wurde die Wiedereinführung verbindlicher Pflichtuntersuchungen auf sexuell übertragbare Infektionen für Prostituierte gefordert.

Begründet wird diese Forderung mit Vorteilen, die sich daraus für die Identifizierung von Opfern von Menschenhandel in die Prostitution und die strafrechtliche Verfolgung von Tätern Vorteile ergeben würden.

bufas e.V. lehnt Pflichtuntersuchungen für Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter entschieden ab und gibt zu Bedenken:

1. Mit Inkrafttreten des IfSG 2001 wurden Pflichtuntersuchungen für Prostituierte aus guten Gründen abgeschafft. Bis dahin waren Pflichtuntersuchungen nach § 3 des früheren Geschlechtskrankheitengesetzes erlaubt. Viele Gesundheitsämter machten von dieser Erlaubnis ausweitend Gebrauch. Andere stellten diese Praxis bereits vor über 25 Jahren ein, weil offensichtlich wurde, dass sie durch keinerlei gesundheitspolitische Begründung gerechtfertigt werden konnte. Prostituierte konnten nach den vorliegenden epidemiologischen Zahlen nicht zu den besonders gefährdeten Bevölkerungsgruppen gerechnet werden. Gemessen am Bevölkerungsdurchschnitt wiesen sie keine erhöhten Infektionsraten auf. Im Gegenteil: Professionell arbeitende Prostituierte gehören eher zu den sexuell aufgeklärten Bevölkerungsgruppen, die ihre sexuelle Gesundheit als Kapital betrachten und entsprechend zu schützen wissen. Sie schätzen und nutzen verfügbare gesundheitliche Angebote.

2. Zwangsmaßnahmen sind eher geeignet, Eigenverantwortlichkeit zu unterminieren. Sie vermitteln den Eindruck, durch permanente medizinische Kontrolle vor Krankheiten geschützt zu sein. Kunden interpretieren diesen vermeintlichen Schutz als Freibrief für riskante Sexualpraktiken. In manchen Etablissements werden schon heute die „Gesundheitszeugnisse“ der Frauen öffentlich ausgehängt.

3. Die Einführung von Pflichtuntersuchungen würde die bisherige Gesundheitsprävention gefährden. Prostituierte, die meist um die Aufgabe ihrer Anonymität fürchten, würden versuchen, sich einem Untersuchungszwang zu entziehen. Das hat sich auch in der Vergangenheit gezeigt. Alle Gesundheitsämter, die freiwillige und anonyme, besser auch noch kostenlose Untersuchungen anboten, erreichten die Zielgruppe.

4. Für die Forderung nach erneuten Pflichtuntersuchungen für Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter werden nicht gesundheitspolitische, sondern ausschließlich kriminalpolitische Gesichtspunkte geltend gemacht. Hier soll eine medizinische Untersuchung sozusagen als verdeckte Kontrollmaßnahme instrumentalisiert werden. Dies stellt einen nicht zu rechtfertigenden Eingriff in das Persönlichkeitsrecht und die körperliche Unversehrtheit dar.

Das Verhältnismäßigkeitsprinzip gebietet grundsätzlich die Wahl des geringstmöglichen staatlichen Eingriffs. Wie bereits die 79. Konferenz der Gesundheitsminister in einem Umlaufbeschluss vom 04.05.2006 bemerkte, kann das gesundheitspolitische Ziel der Prävention mit freiwilligen Angeboten und aufsuchender Betreuung erreicht werden. Eine darüber hinaus gehende generelle Verpflichtung zur Untersuchung aller Prostituierten stellt sich schon aus diesem Grunde als ermessensfehlerhaft dar.

5. Etwaige Straftaten im Rotlichtmilieu – insbesondere Menschenhandel – können durch Pflichtuntersuchungen nicht verhindert werden. Frauen und Männer, die zu sexuellen Handlungen gezwungen werden oder von Menschenhandel betroffen sind, wenden sich nur an Stellen, von denen sie parteiliche Hilfen erwarten können. Beratungsstellen oder medizinische Hilfsangebote können das gewährleisten und – wenn die Betroffenen dies wünschen – Kontakte zur Polizei herstellen. Würde bekannt, dass ohne Einverständnis der Betroffenen Daten an die Polizei weiter gegeben werden, würden diese Beratungsstellen gar nicht erst aufgesucht werden. Eine Vermischung von gesundheitspolitischen Maßnamen mit Ermittlungs- oder Strafverfolgungsaufgaben würde die Möglichkeiten einer wirksamen Bekämpfung von Gewalttaten gegen Prostituierte also nur schmälern.

6. Gleichzeitig ist fragwürdig, ob Ermittlungs- und Strafverfolgungsaufgaben in den Zuständigkeitsbereich der Gesundheitspolitik verschoben werden können. Die Gesundheitsbehörden haben nach Recht und Gesetz die Gesundheit der Bevölkerung zu sichern bzw. gesundheitliche Gefahren von der Bevölkerung abzuwehren. Verbrechensbekämpfung ist nicht ihr Ressort.

7. Zuletzt ist darauf hinzuweisen, dass Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in einer aktuellen Veröffentlichung zu diesem Thema verlangt, dass Präventionspolitik und -praxis (hier in Bezug auf HIV) alle Maßnahmen eliminiert, die nicht auf freiwilliger Basis stattfinden. Ausdrücklich abgelehnt werden auch Maßnahmen, die subtilen Druck ausüben.

Wir bitten Sie, diese Argumente zu erwägen und von einer Empfehlung, Pflichtuntersuchungen für Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter einzuführen, abzusehen.

Berlin
Juni 2010